Für ihre aktuelle Podiumsdiskussion hatte sich die Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) Stormarn viel vorgenommen, denn auf dem Programm stand ein so komplexes Thema wie die „Zukunft von Landwirtschaft und Umweltschutz“. Als Gesprächspartner waren ins Schloss Reinbek eingeladen: Werner Schwarz, Präsident des Bauernverbands Schleswig-Holstein, Ingo Ludwichowski, Geschäftsführer des NABU Schleswig-Holstein, sowie Niclas Herbst, CDU-Abgeordneter für Schleswig-Holstein im Europäischen Parlament. Kompetent moderiert wurde die Veranstaltung von Kirsten Voß-Rahe, Geschäftsführerin des Hofs Viehbrook in Rendswühren bei Neumünster und stellvertretende Vorsitzende der MIT Schleswig-Holstein. Eine aussagekräftige Auswahl der Akteure, denn die Diskussion machte anschaulich, dass zwar unterschiedliche Interessen im Problemfeld von landwirtschaftlicher Produktion, Klima- und Umweltschutz aufeinandertreffen, dass aber alles durch gegenseitige Abhängigkeiten eng miteinander verbunden ist und es insofern viele Kompromisse braucht, um zu gemeinsamen Lösungen zu kommen.
Werner Schwarz betonte, wie wichtig ein solcher Dialogprozess sei, der in Schleswig-Holstein als Pakt für Landwirtschaft vom Bauernverband angeregt und im Herbst 2018 von Landwirtschaftsminister Jan Albrecht gestartet worden sei: mit einer sogenannten Zukunftskommission, in der 31 Vertreter aus verschiedenen Verbänden über gut zweieinhalb Jahre in Werkstattgesprächen darüber diskutiert hätten, wie Landwirtschaft im Jahr 2040 aussehen sollte. Das Ergebnis seien 24 Thesen als eine Art Handlungsanleitung. Schwarz lobte, dass dieser Prozess im Gegensatz zu den Konfrontationen der 80er- und 90er-Jahre konstruktiver, kooperativer und dadurch auch effektiver abgelaufen sei. Es gebe eine gewisse Einigkeit zwischen Schützern und Nützern, etwa in der Absicht, künftig etwa zehn Prozent der landwirtschaftlichen Flächen für Klima- und Artenschutz bereitzustellen.
Ingo Ludwichowski vom NABU stimmte ihm eingeschränkt zu: 20 bis 30 Jahre habe man heftig gestritten, jetzt sei ein Fundament gegenseitigen Verständnisses gelegt — doch die eigentliche Arbeit stehe erst an, denn das Thesenpapier müsse mit Leben erfüllt werden. Klimaschutz und Bewahrung biologischer Vielfalt, etwa durch Moorschutz, würden nicht einfach, wenn Interessen von Grundeigentümern betroffen seien. Politik und Verwaltung müssten in Zusammenarbeit mit Wissenschaft für die Landwirtschaft ökonomische und für den Klimaschutz effektive Lösungen ausformulieren. Er selbst sei unzufrieden mit dem, was im Agrarland Schleswig-Holstein, wo rund 70 Prozent der Fläche zur Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte genutzt würden, bisher erreicht sei. „Wir müssen davon wegkommen, nur allgemeine Absichten zu formulieren und uns stattdessen auf konkrete Ziele fokussieren.“
Dem widersprach Werner Schwarz direkt: „Wir in Schleswig-Holstein haben als erste den Dialogprozess begonnen“ — 2018 habe es noch keine Blaupause gegeben. Ingo Ludwichowski sagte, dass damit bereits vor 20 Jahren hätte begonnen werden müssen, es sei jedoch eine Chance, dass die Bedeutung des Klimaschutzes inzwischen allgemein erkannt worden sei und in der Breite der Gesellschaft diskutiert werde. Schwarz bezeichnete es als die größte Herausforderung, dass Klima- und Artenschutz eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe seien, also möglichst alle mitgenommen werden müssten. Dementsprechend müsse Überzeugungsarbeit geleistet werden und es seien rechtliche Fragen wie zum Beispiel der Eigentumsschutz bei der Umwidmung von Flächen für Klima- und Artenschutz zu klären.
Dr. Martin Lüdiger, Vorsitzender der MIT-Stormarn, interessierte besonders die Finanzierung dieser ökologischen Neuausrichtung. Seiner Feststellung, dass die Landwirte auch weiterhin existieren können müssen, folgte die Frage: „Wie kommen wir zu höheren Preisen?“ Darauf antwortete NABU-Geschäftsführer Ludwichowski: „Der Preis spielt eine entscheidende Rolle. Wer in unserem System handelt, muss belohnt werden.“ Für Flächen, die zugunsten von Klima- und Artenschutz genutzt würden, müsse es eine Art Deckungsbeitrag geben. „Es ist Aufgabe der Politik, den Rahmen dafür abzustecken.“ Und: „Das funktioniert nur, wenn es keine unkonditionierten Direktzahlungen mehr gibt.“ Werner Schwarz knüpfte sofort daran an: „Subventionierung muss künftig mit Umweltschutz verknüpft werden.“ So werde es in den kommenden zwei Förderperioden keine unkontrollierte Förderung mehr geben, stattdessen sollten Umwelt- und Klimaschutz betriebswirtschaftlich durch Verknüpfung mit Subventionen attraktiv gemacht werden: „Öffentliches Geld nur für öffentliche Leistung.“
Hierzu passten Fragen zu Tierhaltung, Tierwohl und Fleischpreis. Respekt vor der Kreatur, so eine Zuhörerin, sei der entscheidende Punkt beim Thema Fleischkonsum. Werner Schwarz sagte, dass Tierbestand und Fleischkonsum reduziert werden sollten — Verknappung werde Qualität und Preise („höhere Wertschöpfung durch mehr Wertschätzung“) steigern, wenn das nicht unterlaufen würde durch Billigimporte aus Ländern, die Standards nicht einhielten. „Pfade sind aufgezeigt, aber es müssen Entscheidungen folgen, in Brüssel und Deutschland“, sagte Schwarz.
Antworten auf viele dieser Fragen soll die Politik geben, die den Transformationsprozess steuern muss. Der EU-Parlaments-Abgeordnete Niclas Herbst skizzierte die gigantische Aufgabe: ein Drittel des Gesamthaushalts der EU fließe in die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) ein — „das zeigt die zentrale Bedeutung der Landwirtschaft für die Gemeinschaft“. Zehn Millionen Betriebe mit einer Durchschnittsgröße von 17 Hektar gebe es in der EU, vom Großbetrieb mit mehr als 100 Hektar (drei Prozent insgesamt) bis hin zum kleinen Einfamilienhof in Osteuropa. Ein Paradigmenwechsel, so Herbst, sei notwendig, doch die Versorgungssicherheit habe Vorrang. Außerdem würden ehrgeizige Programme wie die Halbierung der Verwendung von Pflanzenschutzmitteln (bis 2030) Zeit brauchen und innerhalb der Gemeinschaft auch gegen Widerstände einzelner Mitgliedsländer durchgesetzt werden müssen. Es bedürfe eines Vorhabenplans und einer nationalen Strategie, 2024 solle die Gemeinsame Agrarpolitik evaluiert werden, und es werde vermutlich bis 2027 dauern, bis der Paradigmenwechsel starte. Herbst: „Der Zug fährt in die richtige Richtung, aber wir dürfen nicht erwarten, dass er bald in den Bahnhof einfährt.“
Werner Schwarz verwies auf eine Kostenschätzung zur Transformation der Landwirtschaft hin zu mehr Klima- und Artenschutz entsprechend den gemeinsam formulierten Zielen: sieben bis elf Milliarden Euro jährlich werde es Deutschland kosten. „Ja, es wird richtig teuer, und wir müssen entscheiden, ob es uns das wert ist“, sagte Niclas Herbst.
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